Interview mit der Gitarren-Virtuosin Heike Matthiesen

Heike Matthiesen, Foto © Peter Schönberger
Heike Matthiesen, Foto © Peter Schönberger

»Ich gucke mir selber immer wieder staunend beim Leben zu!«

Dass die Sozialen Medien ihrem anspruchsvollen Attribut des kommunikativen Austauschs auch über das Teilen niedlicher Katzenbilder hinaus durchaus immer wieder gerecht werden, zeigte sich auf erfreuliche Art und Weise, als Heike Matthiesen, Ausnahmemusikerin aus Frankfurt, und ich, Mitarbeiterin des Musikhauses Kirstein, uns via Twitter kennenlernten und nach kurzer Zeit beschlossen, ein Interview zu führen.

Herausgekommen ist eine kurzweilige Lektüre, deren Erarbeitung nicht nur sehr viel Spaß gemacht hat, sondern die auch äußerst interessante Einblicke in Heike Matthiesens Musikerinnenleben bietet.

JK (Jutta Kühl): Heike, stelle Dich doch bitte unseren Leserinnen und Lesern einfach mal kurz mit den Fakten vor, die Du als relevant erachtest …

Heike Matthiesen: Ich würde da gerne den zurzeit so oft bemühten Ausdruck "Ausnahmemusiker" verwenden. Ich spiele Gitarre und lebe ausschließlich vom Spielen! "Ausnahme" weil: Habe zu spät angefangen ( mit 18 erste Gitarrenstunde, mit 19 Studienbeginn), niemals "Jugend musiziert" gespielt, keine "Eislaufeltern" gehabt (Eltern Musikprofis, die mir mit dem Klavier, meinem Erstinstrument, keinerlei Druck gemacht hatten), meine ersten Profijobs gleich im Opernorchester vor 1.500 Leuten, dann Kammermusik, dann erst vier Jahre nach meinem Solistendiplom mein allererstes abendfüllendes Solokonzert – und keinen einzigen Wettbewerb gewonnen; das ist eine Biographie, die komplett unmöglich erscheint. Trotzdem bin ich Solistin geworden – trotzdem oder genau deswegen?

JK: Dass jemand ausschließlich vom Spielen leben kann, ist nicht die Regel. Davon träumen viele Menschen. Deine Biographie klingt außergewöhnlich. – Dein Erstinstrument war das Klavier. Wann hast Du begonnen, Klavier zu spielen und wie kamst Du zur Gitarre?

Heike Matthiesen: Es gibt Bilder von mir, wo ich mit noch nicht mal zwei Jahren am Klavier sitze. Eine genaue Angabe über die erste Unterrichtsstunde gibt es leider nicht, offiziell sage ich jetzt immer: ab vier; ich konnte also neben lesen und schreiben vor der Einschulung auch schon Noten lesen.

Heike Matthiesen mit ihrem Lehrer Pepe Romero
Heike Matthiesen mit ihrem Lehrer Pepe Romero

Bei uns zu Hause hing eine einfache, alte Gitarre an der Wand, die ich schon immer wunderschön fand und sie ab und zu abpflückte, um ein wenig darauf herumzuexperimentieren – und ich war mein Leben lang von Spanien fasziniert, habe mir schon als Kind Flamencoplatten schenken lassen ... und meine erste klassische Gitarren-CD war Pepe Romero, mein späterer Lehrer, mit den Boccherini-Quintetten. Aber eine explizite Initialzündung gab es eigentlich nicht. In meiner Rebellionsphase als Teenie ging ich irgendwann dem Klavier verloren und als ich durch diese Phase durch war, habe ich meine gesamte Umgebung überrascht, als ich sagte, ich wolle jetzt Gitarre lernen!

JK: Du sprichst von Deiner Rebellionsphase und hast vorhin erwähnt, dass Deine Eltern, Musikprofis, Dir hinsichtlich der Instrumente keinerlei Druck gemacht haben. – Hast Du Lust, etwas über den Einfluss Deiner häuslichen Umgebung auf Deinen Werdegang und Deine Karriere zu erzählen? Wie bist Du mit Musikprofi-Eltern aufgewachsen?

Heike Matthiesen: Aus heutiger Sicht war es unbezahlbar, von klein auf in der Musikwelt zu leben: Disziplin, Fokussierung, Pünktlichkeit und ein gewisses Nomadentum – ich kannte nichts anderes! Wir wussten ja nie, wie lange wir an einem Ort bleiben würden – Chordirektoren haben ja immer nur befristete Verträge, im Endeffekt waren es nicht so viele Umzüge, aber man war innerlich doch immer irgendwie auf gepackten Koffern …

Gleichzeitig ist die Umzingelung mit Perfektion auch eine Bürde, man misst sich ja dann nicht an sich selbst, sondern immer an Perfektion. Als Teenie habe ich dann ein paar Jahre überhaupt keine Klassik mehr hören wollen … aber die Phase war vorbei, als ich beschloss, Gitarre zu lernen. In der Hochschule war ich dann froh, auch ein Leben jenseits gedrillter Hochleistung gekannt zu haben. Als Musiker muss man ja auch leben, um in seiner Musik von etwas erzählen zu können!

Heike Matthiesen in St. Petersburg
Heike Matthiesen in St. Petersburg

JK: Wovon erzählst Du in Deiner Musik?

Heike Matthiesen: Es geht ja nicht nur darum, was ich mit meiner Musik erzähle, sondern viel mehr darum, was in den Köpfen der Zuhörer entsteht. Deren Träume und Phantasien zu wecken, ist für mich das Wichtigste – oder auch einfach Momente tiefer Entspannung und Konzentration zu schaffen, eine Insel im lauten Alltag zu gestalten. Ich freue mich sehr über die strahlenden Gesichter, die man nach einem Konzert sehen kann.

Für mich selber ist jedes meiner Stücke im Idealfall ein guter, lebenslänglicher Freund, manche Stücke bleiben allerdings auch nur kürzer in meinem Leben.

Es ist hochriskant, Stücke direkt an die eigene Biographie zu koppeln; als Beispiel: eine Liebesbeziehung – was passiert, wenn das Glück vorbei ist? Solche Stücke kann man dann nie wieder frei spielen. Ich verbinde Stücke mit starken Emotionen, aber nie mit speziellen Momenten!

JK: "Starke Emotionen" und "spezielle Momente" – diese Worte eignen sich sicherlich auch vortrefflich für den Umstand, dass Du ausgerechnet bei dem Musiker Gitarre lernen durftest, dessen Platte Deine erste klassische war?

Heike Matthiesen: Die LP (ja, damals…) war ein Geschenk meiner Eltern. Und die Begegnung mit Pepe hat mein Leben verändert. Ich hatte wegen des späten Starts ja (zurecht) Bedenken, ob überhaupt noch eine Solokarriere möglich ist und hatte mich immer eher als Kammer- und Theatermusiker gesehen. Durch Pepe habe ich gelernt, alles, was gegen mich sprach, als einzigartige Kombination zu verstehen, selbst wenn die ganz große Karriere nicht mehr möglich war; ich fiel einfach durch sämtliche Scoutingraster des "Bigbusiness" hindurch und habe ja auch keinen einzigen Wettbewerb gewonnen (Anekdote: legendärer Satz eines Juroren: "Du brauchst uns nicht, Du gehst Deinen Weg auch so!"). Daher bin ich auch nicht unbedingt als Vorbild für junge Musiker zu empfehlen, bin sozusagen die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Es war so deutlich mühsamer als geradlinige Wege, aber es funktioniert ja; ich gucke mir selber immer wieder staunend beim Leben zu!

JK: Wie sieht ein Tag im Leben einer Profimusikerin aus?

Heike Matthiesen, Portrait © Dr. Otto Beyer
Heike Matthiesen, Portrait © Dr. Otto Beyer

Heike Matthiesen: An einem Tag ohne Konzert gucke ich, dass ich etwa vier Stunden Nettoübzeit einplane; wenn unumgänglich auch mehr. Ich übe immer in 45- bis 60-minütigen Portionen, mache dann mindestens 15 Minuten Pause für Hände und Gehirn. Außerdem kommen Minimum ein bis zwei Stunden Internet plus Büro dazu. Dann noch eine Stunde Sport – und schon ist ein langer Tag vorbei. Das tägliche Üben ist dabei geliebte Routine, die ich als sehr positiv strukturierend empfinde; mein tägliches, einstündiges Technikritual ist wie Meditation: Ich übe jeden Tag die absoluten Basics und keine abgedrehte Akrobatik; das tägliche "Durchscannen" der Basistechniken ist elementar wichtig, um in diesem körperlich riskanten Beruf langfristig gesund zu bleiben. Viel zu viele Musiker haben ja langfristig mit instrumentenbedingten Beschwerden zu kämpfen, bei Gitarre sind Rücken und Hände am stärksten gefährdet- und Gitarre spielen darf niemals wehtun!!!!!!

JK: Deine Stücke gefallen mir sehr gut, obwohl ich mich null mit klassischer Gitarrenmusik auskenne. Wie ist Dein Publikum üblicherweise gestrickt?

Heike Matthiesen: Gitarre ist ja ein geniales Instrument, weil es in eigentlich fast jedem positive Assoziationen auslöst. Das Publikum ist also breiter gefächert als bei "normalen" klassischen Konzerten, weil auch Leute, die sonst wenig Klassik hören, dann am ehesten doch für Gitarre zu begeistern sind. Gitarre geht direkt an die Emotionen, gerade bei spanischer Musik! Andererseits muss sich die Gitarre im "Hardcore"-Klassikumfeld immer wieder neu als ernstzunehmendes, gleichwertiges Instrument beweisen und hat es da leider immer noch schwer. (Wie viele Gitarrenabende sind in den ganz großen, legendären Konzertsälen oder bei den renommierten Festivals dabei?)

Also vom Klassikfreak bis zu Leuten, die auch mal drei Akkorde gelernt haben, oder Menschen, die einen Abend lang von Andalusien verzaubert werden wollen – es ist je nach Spielort und Programm ein komplett verschiedenes Publikum und das macht es für mich als Musiker auch ungeheuer spannend; und so ist jeder Abend wie neu für mich.

JK: Was wünschst Du Dir gerade? Jetzt, in diesem Moment?

Heike Matthiesen
Heike Matthiesen

Heike Matthiesen: Viele schöne Konzerte, in denen ich meinem Traum von perfekter Musik immer öfter immer näher komme. Ich spiele gerne viel und am besten, wenn ich regelmäßigst auf der Bühne bin!

Und viele generelle Wünsche für die Zukunft der Klassik, dass die Klassik (auch als Nische) überlebt, Respekt und eine faire Überlebenschance für Musiker. Wir Klassiker sind Hochleistungssportler, es gibt da nur ein "ganz oder gar nicht", wenn man für 90 Minuten ohne jedes Netz und doppelten Boden auf die Bühne geht – und man muss lebenslänglich diszipliniert dafür arbeiten. Die wenigsten freischaffenden Musiker können sich aber finanziell irgendwie eine Sicherheit erarbeiten.

Und so in nächster Nähe: Mein neuestes Programm für eine CD nur mit Komponistinnen; steht auf dem Notenständer, da wird viel Herzblut reingehen. – Ein idealistisches Projekt, da wünsche ich mir, dass es so wird, wie ich es mir vorstelle.

Aber eine der wichtigsten Voraussetzungen zum Musikersein ist ja Geduld und Beharrlichkeit. – Allerdings immer auch mit der Motivation, es sich ein wenig gut gehen zu lassen … so möchte man einfach einen Tag nach dem anderen gut und fokussiert arbeiten – mit viel Espresso und dann und wann einem Schokopudding!

Vita Heike Matthiesen

Heike Matthiesen wurde am 27. Juni 1969 in Braunschweig geboren und gehört zu den führenden deutschen Gitarristen.

Heike Matthiesen, die aus einer Musikerfamilie stammt, genoss bereits von Kindesbeinen an eine intensive, umfängliche musikalische Ausbildung. Mit 18 Jahren entdeckte sie die Gitarre für sich.

Heike Matthiesen studierte an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main und war Meisterschülerin von Pepe Romero. Darüber hinaus besuchte sie zahlreiche Meisterkurse, unter anderem bei Manuel Barrueco, David Russel, Roland Dyens, Alvaro Pierri und Leo Brouwer.

Heike Matthiesen ist international vor allem als Solistin tätig, tritt aber auch in Kammermusikbesetzungen auf.

Heike Matthiesen im Netz

Diskografie Heike Matthiesen

  • Sol y luna, Musik aus Spanien und Südamerika, Tyrolis 1998
  • Tristemusette, Musik von Roland Dyens, Tyrolis 2001
  • Bolero, mit dem Spanish Art Guitar Quartet, NCA 2005 ( vergriffen)
  • Serenade, CDbaby 2013

Interview/Autoren: Heike Matthiesen und (www.kirstein.de), April 2014